pinche migra
Reisenotizen von Campamentistas im Oktober
2003
Hallo ihr Lieben,
wir sind nun schon seit einigen Tagen nicht mehr in Chiapas, doch die
Erlebnisse auf unserer Reise in die Hauptstadt veranlassen uns dazu, nun doch
noch mal einen Rundbrief zu schreiben.
Die letzten Tage konnten wir noch etwas am Isthmus von Tehuantepec das
Leben Südmexikos geniessen; schnell wurde uns in diesen Urlaubstagen
bestätigt, dass die Menschenrechtsverletzungen in Mexiko nicht an der Grenze
von Chiapas aufhören, sondern anscheinend durch Abwesenheit sozialer
Organisationen und fehlendem internationalen Augenmerk die Repressionen
staatlicher Institutionen auch in Oaxaca schreckliche Ausmasse besitzen.
Der Isthmus ist die schmalste Stelle Mexikos, eine Landenge zwischen
Pazifik und Atlantik, gelegen in den Bundesstaaten Oaxaca und Veracruz. Diese
Landenge ist für die massive Überwachung der Migrationsbewegungen in Richtung
Norden, sowohl für die mexikanische, als auch die U.S. amerikanische
Regierung von zentraler Bedeutung, da der schmale Landstrich einfacher zu
kontrollieren ist, als die breiten Landesgrenzen. Es werden einfach alle, die
Landenge passierenden Busse und verdächtig aussehenden Autos, alle zwei
Stunden im Bereich des Isthmus kontrolliert, 24 Stunden am Tag. Auf extra
eingerichteten Stationen werden die Fahrzeuge an der Bundesstrasse
rausgewunken und Angestellte der Migra führen Personenkontrollen durch und
greifen jene heraus, die sie nach rassistischen Gesichtskontrollen als
Zentral- bzw. Südamerikanisch kategorisieren. Die Präsenz der Migra
(Instituto de Migracion Nacional) tritt nach Erfahrungen der letzten Jahre
verstärkt auf, um diese Kontrollen durchzuführen.
Im Kontext der Freihandelsabkommen zwischen den Nord- und
Südamerikanischen Staaten werden immer mehr Menschen strukturell dazu
gezwungen in andere Länder zu migrieren. Diese Migration spielt als
Wirtschaftsfaktor eine wichtige Rolle; sowie illegale als auch legale
Einwanderer werden für prekäre Beschäftigungen gebraucht und können somit als
billige Arbeitskräfte ohne Rechte ausgebeutet werden. Diese Tatsache macht
die internationale Kontrolle der Migrationsbewegungen, um die Menschen in den
illegalen Status zu zwingen indem sie wehrlos den Machenschaften von Coyotes
(Schlepper), Wirtschaftsunternehmen und eben diesen staatlichen Institutionen
ausgeliefert sind, so widerlich paradox.
Diese Systematik nimmt inzwischen so perverse Ausmasse an, dass in
bestimmten Städten des Isthmus die Policia Federal, die Policia Municipal,
einige Taxifahrer und die Migra in quasi mafiösen Strukturen
zusammenarbeiten. Auf dem Weg zur Familie eines Freundes haben wir mehrfach
beobachten müssen wie die Migra einzelne Personen, die kein Visa vorzeigen
konnten umgehend aus dem Bus fischte und abtransportierte. Durch dieses
Erlebnis sensibilisiert konnten wir mit Unterstützung unseres Freundes mit
einigen mehr wissenden Menschen aus der Stadt sprechen, die sich mit dem
Thema beschäftigen. Im Grunde genommen wissen eigentlich alle über die
Machenschaften der Migra und der Polizei bescheid, die aber aus Angst vor der
drohenden Repression nicht an die Öffentlichkeit treten. In dieser Gegend
gibt es leider auch kein Menschenrechtsbüro, was ihnen etwas Schutz gewähren
könnte. Aus diesen Gesprächen ging hervor, dass die Massnahmen der Migra
nicht bei dem alleinigen Abtransportieren und Abschieben dieser Menschen
bleibt, sondern sich inzwischen unglaublich unmenschliche Behandlungsmethoden
etabliert haben. Nach Angaben der „Informierten“ sind die Verhältnisse in den
„Abschiebeknästen“ schlimm; es gibt weder Essen und Trinken, noch werden die
Menschen über das weitere Abschiebevorgehen informiert. Durch korrupte
Umstände wird den Migranten durch die unterschiedlichsten polizeilichen
Institutionen sämtliches Geld abgenommen, während sie oft unter unwürdigsten
Verhältnissen viel zu lange in den Gefängnissen bleiben und zudem oft
gefoltert und brutal verprügelt werden (der Mann sprach uns gegenüber von
zertrümmerten Gesichtern, gebrochenen Knochen und Platzwunden), Frauen werden
zwangsprostituiert und in der Gegend, wo wir weilten, an Bordelle in der Nähe
der Pazifikstrände verkauft.
Das Gespräch erreichte seinen schrecklichen Höhepunkt als wir
erfuhren, dass einige Monate zuvor ein Migrant aus Südamerika in einem
Polizeiauto zu Tode malträtiert wurde. Dieses Auto wird nun seit 6 Monaten
„zur Reparatur“ in einer Werkstatt geparkt. Der Gipfel der Korruption war
dann die Information, das auch einige Taxifahrer die schmutzigen Geschäfte
mit den Migranten mitmachen, indem
sie ihnen etappenweise sicheres Vorkommen auf dem Weg in Richtung
Norden versprechen, sie dann aber in einer späteren Station der Migra
ausliefern und somit einen netten „Zusatzverdienst“ einkassieren, was in
Kooperation und dem Wissen der Migra und den Polizeiinstitutionen läuft.
Ziemlich ohnmächtig machten wir uns nach diesen Informationen auf den
Weg in Richtung Migrastation in der Nähe der Stadt, da wir nach Absprache mit
mexikanischen Bekannten darum gebeten wurden uns mit Fragen an eine
involvierte Person zu wenden. Als „Studentinnen des internationalen Rechts“
(ähhhh, kleine Unwahrheiten im Namen der Wahrheit (-: ) baten wir um ein
Gespräch. Die Leute der Migra wurden ausgesprochen nervös und reagierten
megahektisch und übermässig freundlich, aber wiesen uns letztendlich ab. Ihre
Besorgnis, dass irgendetwas über ihre Machenschaften an die Öffentlichkeit
treten könnte, zeigte sich schliesslich daran, dass unser Bekannter auf der
alleinigen Rückreise nach Chiapas aus dem Bus geholt wurde und in einer
anderen Migrastation mit Fragen über uns konfrontiert wurde. Diese Ereignisse
machten noch einmal die Konsequenzen der kapitalisitschen Globalisierung, der
Korruption, dem undurchsichtigen Polizeigeklüngel und den Interessen der
Eliten des „demokratischen“ Staates Mexiko, in dem es „keine Konflikte“ (Fox)
gibt, deutlich und zeigten, das jedem Mexikaner, der seine Nase zu tief und
zu kritisch in diese Angelegenheiten steckt, massive Repression droht.
Das war jetzt aber nun wirklich der letzte Brief!!!!!!!!!! Fanden es
aber superwichtig, dieses Erlebnis noch mal zu erwähnen, bevor wir uns nun
morgen auf den Rückweg nach D. machen!
Liebe Grüsse
a.u.j.
-> Startseite Gruppe
B.A.S.T.A.
|